10 FRAGEN AN...
Carole Ackermann
Präsidentin EHL – Ecole hôtelière de Lausanne
CEO & Co-Founder Diamondscull

10+ Fragen an Carole Ackermann
Dr. Carole Ackermann ist seit 2020 Präsidentin des Stiftungs- und Verwaltungsrats der renommierten EHL Hotelfachschule Lausanne. Sie setzt sich für die Förderung von Talenten und die Weiterentwicklung der Hospitality-Branche ein. Zudem ist sie CEO und Mitinhaberin der Investmentgesellschaft DiamondScull AG, die Start-ups unterstützt. Neben ihrer Tätigkeit in verschiedenen Verwaltungsratsgremien engagierte sie sich lange als Dozentin an der Universität St. Gallen (HSG). Mit ihrer langjährigen Erfahrung in Unternehmensführung, Bildung und Venture Capital gestaltet sie aktiv die Zukunft des Tourismus mit.
1. Das Thema Diversity – dabei meinen wir nicht nur Geschlechtervielfalt, sondern auch Alter, kulturelle Herkunft etc. – hat insbesondere aufgrund der politischen Lage aktuell viel Gegenwind. Was sind deine Gedanken dazu?
Ich bin nicht schockiert, aber es ist erstaunlich, was in den USA an Masslosigkeit im dafür und dagegen passiert – doch wir sind in der Schweiz! Das sollten wir uns immer wieder bewusst machen und uns auf uns konzentrieren. In den letzten Wochen habe ich am Women in Leadership Event an der EHL grosse Unterstützung für Diversität und Inklusion erfahren. Wichtig ist, dass wir dort ansetzen, wo wir, jeder von uns, zur Veränderung beitragen kann.
2. Also ist das Thema weiterhin wichtig oder wichtiger denn je?
Ja, der Erfolg kommt aus der Kontinuität und nicht aus hektischem hin und her. Die aktuelle geopolitische Lage, der technologische und gesellschaftliche Wandel verändern die Anforderungen im Hospitalitybereich und wir müssen verschiedene Perspektiven einbeziehen. Die Frage ist, wie wir Studierenden die richtigen Kompetenzen vermitteln, um mit diesem Wandel Schritt zu halten. Diverse Teams und ein inklusives Verhalten sind essenziell, um unterschiedliche Denkweisen zu fördern und kreative Lösungen zu finden.
3. Welche Leadership-Skills braucht es, um solche diversen Teams zu führen?
Den Sinn der eigenen Arbeit, Klarheit für was wir stehen und wie wir wirken wollen zu sehen und diese Überzeugungen vermitteln, ist ein guter Start. Die Studierenden und Arbeitnehmenden von heute sind zunehmend stärker auf “Purpose” ausgerichtet – sie wollen wissen, warum sie etwas tun und welchen Beitrag sie leisten. Das schafft Vertrauen. Als Führungsperson muss man verschiedene Perspektiven wahrnehmen können, ohne die Orientierung und den Fokus zu verlieren und eine klare Richtung vorgeben. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem unterschiedliche Denkweisen wertgeschätzt und verschiedene Ansätze beurteilt werden, bevor ein Weg eingeschlagen wird. Zudem ist es essenziell, die richtigen Menschen ins Team zu holen – also gezielt sich ergänzende Talente einzustellen. Und letztlich ganz zentral: Zuhören. Als Führungskräfte können wir jeden Tag von unseren Mitarbeitenden lernen. Eine gute Führungskraft hört zuerst zu – und führt dann.
4. Wie kann ein Verwaltungsrat oder eine Verwaltungsrätin auf operativer Ebene Einfluss nehmen, um Diversität zu fördern, ohne dabei zu stark in die Operations reinzureden?
Der Verwaltungsrat als Gremium ist für die oberste Leitung zuständig und stellt damit auch die richtige Führungspersönlichkeit als CEO ein. Dazu gehört neben der Erfahrung, der fachlichen Qualifikation und dem Potential, dass sie oder er die Werte des Unternehmens teilen. Die Auswahl der richtigen Personen ist essenziell, um ein starkes Führungsteam sicherzustellen.
Auch die Zusammensetzung des Verwaltungsrats kann helfen, Diversität im Unternehmen zu fördern. Ein regelmässiges Hinterfragen der Zusammensetzung auch wenn die Statuten eine maximale Verweildauer vorsehen, gehört dazu. Doch eine Präsidentin muss sich bewusst sein, dass die unterschiedlichen Erfahrungen, fachlichen wie persönlichen Kompetenzen meist auch einen grösseren Austausch oder Abgleich bedingen. Bis diverse Teams zu guten Lösung kommen, braucht es Zeit – aber das hat auch Vorteile: Unklares wird angesprochen, blinde Flecken werden aufgedeckt und die Ergebnisse werden letztlich breiter getragen.
5. Diversität bedeutet auch Altersvielfalt. Können junge Verwaltungsratsmitgliedern überhaupt so eine grosse Verantwortung tragen?
Die Qualität eines Verwaltungsrates hängt vom vielfältigen Wissen und Erfahrungen seiner Mitglieder und vom guten Zusammenspiel als Team ab. Dazu gehören auch Wissen und Erkenntnisse der Jungen. Gerade junge oder neue Mitglieder stellen manchmal vermeintlich „naive“ Fragen oder getrauen sich nicht eine heikle Frage zu stellen – aber diese sind oft die kritischen, die schon lange nicht mehr hinterfragt wurden. Führung bedeutet hier, jungen oder neuen Mitgliedern Vertrauen und Raum zu geben, sie anzuhören und sie mit der Unternehmenskultur und -strategie vertraut zu machen.
6. Welche Herausforderungen beeinflussen die VR-Tätigkeit besonders?
Geopolitisch befinden wir uns in einer Zeit grosser Verunsicherung. Der Tourismus ist besonders exponiert – das hat sich bereits während der COVID-Pandemie gezeigt. Die politischen Entwicklungen in den USA, im nahmen Osten, der Ukraine oder auch in China hat direkte Auswirkungen auf die internationalen Besucherströme und damit auf die gesamte Branche. Ein weiteres grosses Thema ist Digitalisierung. Sie verändert nicht nur administrative Arbeitsprozesse, sondern auch die Art und Weise, wie touristische Angebote entwickelt und vermarktet werden. Für die EHL ist natürlich auch die Entwicklung der Bildungslandschaft insgesamt relevant. Es gibt heute enorm viele Weiterbildungsmöglichkeiten und wir stellen fest, dass klassische Bildungswege immer weniger linear verlaufen. In Zukunft wird möglicherweise ein Bachelorabschluss nach der Matura nicht mehr zwingend nachgefragt oder auch erst nach eine paar Jahren Berufserfahrung aufgenommen.
Insgesamt erleben wir auch eine deutliche Beschleunigung von Veränderungsprozessen. Früher wurden detaillierte Businesspläne für vier bis fünf Jahre erstellt und verfolgt – heute ist es oft schwierig ein solides Budget für das nächste Jahr aufzustellen. Das erfordert eine völlig neue Agilität und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen, Führungspersonen und Mitarbeitern.
7. Das ist wieder ein Argument für mehr Diversität, um genau dieser Agilität besser gerecht zu werden. Du investierst auch in junge Start-ups. Was sind deine Überlegungen, in junge Start-ups zu investieren?
Am wichtigsten ist die Idee selbst – sie muss verständlich, einfach skalierbar und einen genügend grossen Markt finden. Und dann sind natürlich die Gründer und das Team entscheidend. Es braucht eine riesige Einsatzbereitschaft und hartnäckigen Durchhaltewillen bei Rückschlägen. Und das oft auch eine Portion Glück dazu gehört, sollten wir nicht vergessen.
8. Durch deine Investitionstätigkeit in Start-ups bekommst du auch den Mindset der jüngeren Generation mit. Hat sich die Start-up-Welt in den letzten Jahren stark verändert?
Ja, definitiv. Ich investiere bereits seit 20 Jahren, und die Start-up-Welt hat sich stark gewandelt. Der Wettbewerb untereinander ist deutlich grösser geworden, gleichzeitig gibt es aber auch viel mehr Unterstützungsangebote gerade in frühen Phasen. Insgesamt ist das Start-up-Business heute viel kommerzieller und professioneller als früher.
9. Der Tourismus ist unsere eigentliche Branche. Wie wirken sich die aktuellen Herausforderungen auf den Tourismus aus, und welche siehst du als die grössten?
In unseren Gefilden hat der Tourismus hat ein Nachwuchsproblem – wir brauchen dringend mehr Fachkräfte. Dass die Hälfte der Studierenden bei der EHL nach dem Studium nicht im Hospitality Bereich arbeiten ist zwar schade aber Tatsache. Mit HotellerieSuisse im Hintergrund aber auch dem International Advisory Board versuchen wir dem zu begegnen, indem wir die Attraktivität des Berufs und die spannenden Herausforderungen in den Vordergrund stellen.
Wenn Studierende in Betrieben als günstige Arbeitskräfte eingesetzt werden, ohne ihnen einen echten Mehrwert für ihre Ausbildung zu bieten, tun wir der Branche keinen Gefallen. Ich wünsche mir, dass CEOs mindestens einmal während eines Praktikums mit den Studierenden sprechen. Sie können einen grossen Unterschied machen, sie sind Vorbilder und können überzeugend vermitteln, dass der Tourismus eine wunderbare Branche für interessante Karrieren ist. Neben diesen Herausforderungen gibt es aber auch neue attraktive Trends: Kulturtourismus und Abenteuertourismus sind stark im kommen. Der Tourismus ist die drittgrösste Industrie weltweit und wächst weiter – das ist grossartig. Die Frage wird sein, wie wir dieses Wachstum nachhaltig gestalten.
10. Der Schweizer Tourismus will der nachhaltigste weltweit sein. Wie schaffen wir den Spagat zwischen Overtourismus und Fernmärkten?
Wir haben in der Schweiz das Glück, dass wir die Nähe zur Natur leicht nachhaltig inszenieren können – kein Disneyland auf dem Berg. Es braucht keinen Champagner und auch keinen Caviar auf dem Gornergrat. Stattdessen passen authentische, lokale Erlebnisse wunderbar zu uns. Lieber sitze ich mit einer Bäurinnennfamilie im Jura an einem Tisch, statt in einer langen Schlange an einem Ausflugsberg. Es geht darum unsere Gäste mit attraktiven Angeboten auf die Vielfalt der Erlebnisse aufmerksam zu machen, mit einer Auswahl zwischen Abenteuer, Genuss und kulturellen oder sportlichen Aktivitäten. Auch müssen wir uns überlegen, welchen Stellenwert Gruppenreisenden künftig einnehmen sollen und was wir für ihre Bedürfnisse bieten können.
11. Die Nachfrage nach nachhaltigen, authentischen Tourismuserlebnissen steigt. Der Tourismus findet vor Ort statt. Wie beziehen wir da die Vorteile von KI ein?
KI wird vor allem im «Back-office» eine Rolle spielen, also bei der Verwaltung von Buchungen, der Kenntnis der Kundinnen, im Marketing, in der Wartung, oder in der Betriebsplanung. Diese Aspekte können durch den Einsatz von KI effizienter und effektiver gestaltet werden. Aber vor Ort, im direkten Kontakt mit dem Kunden, bleibt die Interaktion mit den Menschen entscheidend.
Die Schulthess Klinik hat beispielsweise dank dem Einsatz von KI die Dienstpläne so optimiert, dass die Pflegekräfte massgeblich mitbestimmen konnten, wann sie arbeiten. Das hat die Zufriedenheit der Mitarbeitenden enorm gesteigert und Fluktuationsrate reduziert. So etwas lässt sich auch in anderen Branchen nutzen.
12. Welche Skills müssen wir den Studierenden im Tourismus mitgeben, damit sie mit diesen Herausforderungen umgehen können?
Erstens müssen die Studierenden lernen, wie sie mit den neuen technologischen Möglichkeiten umgehen können. Zweitens müssen sie ein solides Verständnis für Business-Tools entwickeln und sich generell im Bereich Unternehmertum auskennen, wozu auch Kreativitätstechniken gehören. Und Drittens müssen sie die Soft-Skills erlernen, wie etwa wie man mit Kundinnen und Kunden aus verschiedenen Kulturen respektvoll umgeht. Zudem empfehlen wir unseren Betrieben Arbeitsplätze und Aufgaben flexibler zu gestalten. Lieber auf Zimmerstunden verzichten und den Mitarbeitenden dafür an zwei Tagen am Stück frei geben.
13. Vorhin hast du gesagt, dass die Weiterbildungsmöglichkeiten enorm divers sind und Leute gar keinen Bachelorabschluss mehr benötigen. Wie siehst du da die Entwicklung?
Was ich damit meinte, ist, dass es heutzutage viel weniger geradlinige Ausbildungswege gibt. Der Bachelorabschluss muss nicht am Anfang einer Ausbildung stehen. Heute mixt man viel mehr, bildet sich in mehreren Gebieten aus und wechselt auch leichter die Branche. Die Zeiten, in denen am Anfang der Karriere ein klarer Berufspfad festgelegt wurde, sind vorbei. Es ist mittlerweile wichtig, sich lebenslang weiterzubilden. Das ist nicht nur spannend, sondern gehört heute einfach dazu, um auch langfristig «attraktiv» zu bleiben. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen die das aktiv fördern und Mitarbeitenden Raum dafür geben, sind gefragt.
14. Für viele, die im Tourismus arbeiten, bleibt am Ende des Monats nicht mehr viel Geld übrig, um sich eine Weiterbildung zu leisten. Dementsprechend müssen gerade Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen mehr Potenzial zur Weiterentwicklung ihrer Mitarbeitenden entwickeln. Gleichzeitig sind aber einige Hotels personell so am Anschlag, dass sie keine zwei Tage auf ihre Leute verzichten können. Wie geht das?
Das stimmt, die EHL hat zusammen mit HotellerieSuisse dreitägige Management-Kurse angeboten, die wir letztlich absagen mussten, weil die Mitarbeitenden nicht für drei Tage in ihren Betrieben fehlen konnten. Aktuell führen wir eine Studie durch, die aufzeigen soll, dass sich Investitionen in die Weiterbildung der eigenen Mitarbeitenden lohnen und langfristig finanziell auszahlen. Klar ist, dass kleinere Hotels hier vor grösseren Herausforderungen stehen. Daher müssen kreativere und niederschwellige Lösungen gefunden werden, wie man Weiterbildung in den Arbeitsalltag integrieren kann, ohne dass Mitarbeitende zu lange ausfallen.
15. Was müssen wir im Tourismus machen, damit mehr Frauen in Führungspositionen sind?
Es braucht mehr Sichtbarkeit und das Verständnis, dass wir nur gemeinsam zu Lösungen finden. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen und zusammen mit Männern an einem Strang ziehen, um den Tourismus weiter voranzubringen. Dazu gehört beispielsweise die Initiative Equality4tourism.
Carole Hauser
Direktorin Hotel Belvedere Grindelwald. Mitglied der Verbandsleitung HotellerieSuisse, Mitglied des Vereinsvorstandes Equality4Tourism.

10 Fragen an Carole Hauser
Das 4-Sterne Superior Hotel Belvedere in Grindelwald ist seit 1907 in Familienbesitz und wurde im Dezember 2023 nun von der 4. Generation übernommen. Das Hotel wird von Carole und Philip (Geschwister, 4. Generation) und Susanne (Tante, 3. Generation) geführt. Mit Bachelor an der Universität St. Gallen (HSG), Executive MBA an der Ecole Hotelière de Lausanne (EHL) und Erfahrungen in London bringt Carole innovative Ansätze in die traditionelle Branche.
1. Wie kam es dazu, dass Du Dich dazu entschieden hast, den Familienbetrieb mitzugestalten und Führungsverantwortung zu übernehmen?
Als Kinder haben mein Bruder und ich früh mitbekommen, was es bedeutet einen Betrieb zu führen. Mit steigendem Alter reizten mich vor allem die Flexibilität (Work-Life Balance) und der Kontakt zu den Gästen, nebst d em, dass wir in Grindelwald am schönsten Ort der Welt arbeiten und leben dürfen. Heute, nach einem 4-jährigen Aufenthalt in London, freue ich mich zusätzlich, einen Arbeitsplatz für unsere Mitgastgeber mitgestalten zu können, an dem sich nicht nur alle wohl fühlen, sondern wo Freundschaften fürs Leben entstehen und die Arbeit mit Freude ausgeführt wird.
2. Wie hast Du Dich auf diese Führungsverantwortung vorbereitet? War es bei Dir anders als bei Deinem Bruder?
Unsere Wege bis hier hin waren zum Teil gleich und zum Teil ganz anders. Was wir gemeinsam haben, ist, dass wir beide im Bachelor an der HSG waren. Danach sind wir andere Wege gegangen. Er hat auch den Master an der HSG gemacht und sich Arbeitserfahrung in verschiedenen Hotels in der Schweiz und in Norwegen geholt. Ich machte einen kurzen EMBA an der EHL und ging dann 4 Jahre nach London, wo ich in einem Start Up im Bereich Digital Marketing für Hotels und bei einer Beratungsfirma für Hotelinvestoren gearbeitet habe. Obwohl wir beide Erfahrungen in der Hotelle- rie sammelten, haben wir uns doch ganz andere Expertisen angeeignet, was uns heute als Führungsteam stärkt und ergänzt.
3. Euer Unternehmen ist eines der ersten Mitglieder von Equalit4Tourism. Woher kommt die Motivation?
Die Gesellschaft ist divers. Es ist uns deshalb wichtig, dass wir in unserem Betrieb auch divers sind. Bei uns ist ein gutes Gemisch von Menschen angestellt: Frauen, Männer, von Auszubildenden bis Menschen kurz vor der Pension, Queere Menschen und Menschen mit Beeinträchtigungen, wir sind kulturreich, decken über 10 Nationen ab. Wir sind sehr stolz auf die Diversität in unserem Betrieb. Mit der Mitgliedschaft bei Equality4Tourism erhoffen wir uns, das Thema weiter anzupacken, denn Diversity, Equity und Inclusion sind ein ständiger Prozess. Der 1. Roundtable hat mich so was von überzeugt, die Energie im Raum war unglaublich; und so war es für uns eine einfache Entscheidung bei Equality4Tourism Mitglied zu werden, um gemeinsam für eine gleichberechtigten Tourismussektor einzustehen.
4. Warum ist Dir das Thema Diversität als Führungsperson so wichtig?
Diversität ist uns wichtig, weil wir mit Diversität einen erweiterten Wissens- und Erfahrungsschatz haben. Wir haben eine Kultur geschaffen,
in der sich unsere Mitgastgeber einbringen können und Ideen offen aussprechen sollen. Je nach Grösse der Ideen, werden diese in grösseren Teams bearbeitet. Dies bedeutet zwar, dass bspw. Prozessänderungen oder Neuimplementierungen von Ideen bei uns oft etwas länger dauern, aber dafür sind sie durchgedacht und werden vom Team getragen.
5. Wir hören oft das Argument. Was würdest Du einem Vorsitzenden sagen, der für sein Team oder Gremium eine Vakanz zu besetzen hat und mit dem folgenden Argument aufwartet: «Ob Mann oder Frau, wir brauchen einfach die Besten»
Ich bin absolut damit einverstanden, dass wir in ausgeschriebenen Positionen die besten Personen wollen. Aber damit ist es ja nicht getan. Hier kommen verschiedene Aspekte zum Tragen – die interne Betriebskultur sowie externe Faktoren.
Intern: Wenn bspw. in einem Betrieb eine Kultur herrscht, die Frauen auf die eine oder andere Weise diskriminiert oder die gegen aussen nicht aufgeschlossen gegenüber Frauen wirkt, wird sich auch keine Frau finden lassen, die dort arbeiten will. Das heisst aber nicht, dass es nicht kompetente Frauen für diese Positionen gäbe! Basierend auf dem äusseren Auftritt des Betriebs lassen sich bereits erste Schlüsse über eine Betriebskultur ziehen – damit meine ich die Webseite, das Stelleninserat, die Social Media Auftritte, mediale Präsenz etc.
Externe Faktoren: Am 1. Roundtable von Equality4Tourism habe ich gelernt, dass viele Frauen sich viel zögerlicher bewerben für Positionen, weil sie denken, dass sie nicht alle verlangten Punkte erfüllen. Männer hingegen bewerben sich offenbar bereits, wenn sie denken, dass lediglich ein paar Punkte auf sie zutreffen. Wäre ich mir dem früher bewusst gewesen, hätte ich mich auf viel mehr Positionen beworben. Für mich kommt diese Information zu spät, aber für ein paar Frauen, die das hier lesen, hoffentlich nicht. Wir Frauen wachsen immer noch in einer patriarchalischen Welt auf, in der wir direkt und indirekt lernen, worin wir Frauen gut sind und wo unsere Schwächen liegen. Wie viele von uns glauben/lernten zu glauben, dass wir nicht gut sind in analytischem Denken oder mit Zahlen und wir uns somit nicht für Leadership Positionen bewerben können? Meines Erachtens viel zu viele!
6. Der vorliegende Equality Report Swiss Tourism – 2024 zeigt, dass Frauen in strategischen Gremien und in Führungsfunktionen im Tourismus immer noch untervertreten sind. Was ist aus Deiner Sicht der wichtigste Grund dafür?
Nebst obigen Faktoren fehlt es meiner Meinung nach an Vorbildern, an Repräsentation. Es sind immer noch sehr wenige Frauen in Kader und C-Level Positionen und diese werden medial, an Konferenzen und in Schulen zu wenig gezeigt. Wenn junge Frauen mehr Frauen in Führungspositionen sähen, dann wüssten sie auch in jungen Jahren, dass es möglich ist, dass Frauen an der Spitze erfolgreich sein können.
7. Was können Unternehmen und Organisationen das ändern?
Was es auch braucht, sind bessere Policies/Richtlinien in Betrieben wie auch in der Politik. Vorbilder sind bspw. Schweden mit Elternschaftsurlaub statt Mutterschaftsurlaub. In dieser Hinsicht muss sich auch die Mentalität in unserer Kultur ändern. Es ist Elternschaft, nicht Mutterschaft. Es geht nicht darum, dass der Mann zuhause hilft, es ist Teamarbeit. Jedes Paar soll für sich entscheiden können, wie sie zu den Kindern schauen. Dafür braucht es Lohngleichheit, flexible Arbeitsstrukturen etc. In den Betrieben braucht es Anti-Diskriminierungs- und Anti-Belästigungs-Richtlinien, klare Rekrutierungs- und Beförderungsrichtlinien. Es muss offen über Sexismus gesprochen werden etc. Von nichts kommt nichts, wenn wir nicht darüber sprechen, Richtlinien erstellen, unsere Mitmenschen darauf sensibilisieren und es aktiv vorleben, können wir auch keinen Fortschritt erwarten.
Wir halten z.B. in unserem Mitgastgeberhandbuch klar fest, dass wir für Diversität einstehen und jede Person respektieren. Wir, die Familie, leben das auch so vor. Für die Zukunft haben wir zusätzliche Trainings geplant, sei dies bezüglich Mobbing, sexueller Belästigung oder auch «unconscious biases». Wir dürfen aber die Mitgastgeber und Kader nicht mit Schulungen überhäufen. Deshalb achten wir sehr darauf, dass wir unsere Überzeugung, dass gemischte Teams bessere Leistungen bringen vorlegen und uns immer wieder fragen «leben wir Diversität auch wirklich?» Dieses Hinterfragen von konkret anstehenden Entscheidungen ist oft effektiver als weitere Schulungen.
8. Liegt es auch an den Frauen selbst?
Provokativ gesagt, ja. Wie oben bereits erwähnt, stehen wir uns oft selbst im Weg. Dies aber in erster Linie weil wir eben lernen, was wir machen können und was nicht, worin wir gut sind und worin nicht. Wir müssen diese Glaubenssätze hinterfragen und durchbrechen. Wenn wir bedenken, dass die Schweiz erst 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt hat, sind wir doch in den letzten 50 Jahren bereits weit gekommen. Es steht aber noch ein langer Weg vor uns, und da müssen wir Frauen auch an unseren eigenen Glaubenssätzen arbeiten.
9. Was würdest Du als Mentorin einer jungen Berufsfrau sagen, wenn Sie Dich um Rat fragt für Ihre Karriereentwicklung?
Ich würde mit ihr herausfinden, was ihr wirklich Spass macht – nicht was die Gesellschaft denkt, was ihr Spass machen sollte oder worin sie gut sein könnte, sondern wofür ihr Herz wirklich schlägt. Und dann würde ich ihr raten, dass sie in diesem Bereich langsam aber sicher ein Netzwerk aufbauen soll. Dass sie ihre Aufgaben/Arbeiten mit viel Leidenschaft und Gewissenhaftigkeit ausführen soll. Dass sie ihre Meinung und Ideen in einem Betrieb einbringen soll. Und während all dem immer offen bleibt für Opportunitäten, die sie vielleicht nicht vorhergesehen hat. Aber genau diese Opportunitäten könnten für unsere Zukunft entscheidend sein.
10. Was würdest Du der nächsten Generation auf den Weg geben?
Es freut mich sehr zu sehen, dass die nächste Generation bereits mit einem viel offeneren Mindset durch die Welt geht. Die zwei Sachen, die ich hier sagen würde, sind: Es ist wichtig, Stereotypen zu hinterfragen und tut eure Meinung zu solchen Themen laut kund!
Nur so schaffen wir es auch, die ältere Generation und Menschen mit konservativeren Ansichten zu überzeugen, dass jeder Mensch auf dieser Welt den gleichen Respekt und gleiche Chancen verdient hat.
Gelebte Diversität in der Hotellerie
Webinar mit Carole Hauser
Wir hatten das grosse Vergnügen, Carole Hauser in unserem Format „10 Fragen an“ zu begrüssen. Carole ist nicht nur Direktorin des Hotel Belvedere Grindelwald, sondern auch Mitglied der Verbandsleitung bei HotellerieSuisse und engagiertes Vorstandsmitglied von Equality4Tourism. In unserem Gespräch gewährte sie Einblicke in ihre Entscheidung, den Familienbetrieb zu übernehmen, ihre Führungsverantwortung und ihre Leidenschaft für Diversität.
Wer ist Carole Hauser? Carole kommt aus einer Hoteliersfamilie und hat sich entschieden, den Familienbetrieb in der 4. Generation gemeinsam mit ihrem Bruder zu übernehmen. Während ihr Bruder und ihre Tante das operative Geschäft führen, konzentriert sich Carole auf Projekte wie Umbauten, Digitalisierung und Employer Branding – Bereiche, die oft im täglichen Geschäft untergehen. Diese Aufgabenverteilung gibt ihr grosse Flexibilität, auch in Bezug auf ihre persönliche Situation, da ihre Partnerin in London lebt. Mit ihrem umfangreichen Hintergrund, unter anderem einem Bachelor an der HSG und einem EMBA in Hospitality Management von der EHL, betont sie die Bedeutung von offener und inklusiver Führung in der Hotellerie. Übrigens lernt Carole gerade als 5. Sprache Koreanisch.
👉 Drei Key Takeaways aus dem Gespräch:
- Diversität und Offenheit sind zentrale Themen in Caroles Führungskultur. Ihre vier Jahre in London haben ihren Horizont erweitert und sie für Privilegien und gesellschaftliche Unterschiede sensibilisiert. Sie betont, dass eine gute Führungspersönlichkeit die Vielfalt in ihrem Team anerkennen und fördern muss, um wirklich erfolgreich zu sein. Dazu braucht es ein Umfeld, das eine offene Kommunikation mit den Mitarbeitenden ermöglicht, sodass diese ihren Stärken entsprechend eingesetzt werden und sich in diesen Positionen ausleben können.
- Förderung von Diversität im Hotel Belvedere Grindelwald: Ein einzigartiges Beispiel ist der „Wellentag“, bei dem Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen Einblicke in andere Bereiche wie Service oder Rezeption bekommen. Dies hilft ihnen, neue Interessen zu entdecken. Zusätzlich können Mitarbeitende ihre Kinder jeweils zum Mittagessen mitbringen, da das Hotel ohnehin eine grosse Menge an Essen zubereitet – eine Massnahme, die Flexibilität und Fürsorge für das Team zeigt und es arbeitenden Eltern ermöglicht, Beruf und Familie noch besser miteinander zu vereinbaren.
- Tradition und Fortschritt gehen Hand in Hand: Carole glaubt fest daran, dass Tradition und Innovation sich nicht widersprechen. Das Hotel Belvedere pflegt eine lange Geschichte der Gastfreundschaft, aber zugleich ist es wichtig, mit dem Wandel der Zeit mitzugehen und offen für neue Ideen zu sein. Fortschritt war schon immer Teil der Tradition ihrer Familie, wie zum Beispiel die frühe Einführung ihrer Eltern des „per Du“ mit allen Mitarbeitenden, welches die sprachliche Distanz vermindert.
Das vollständige Video des Gesprächs findest du in der Video-Aufzeichnung des Webinars (siehe oben).